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Nachtigallen
von Melisendis >>
Kalt ist der Morgen und trüb', es tönt durch die bebenden Zweige
nur der Nachtigall Lied mild in dem brausenden Sturm;
wunderbar lauschet der Hain: so tönt durch die Stürme des Lebens
nur der Liebe Accent, alles verklärend, hindurch.
Sophie Mereau
Prolog
Der Schnee knirschte, als sie den schmalen Weg entlang lief. Die klirrende Kälte erfasste ihre Glieder, ihre Ohren und Wangen begannen zu ertauben. Sie hatte kaum mehr ein Gefühl in den Fingern, als sie das kleine Bündel an sich presste. Ihr kamen nur wenige beruhigende Worte über die Lippen, ihre Stimme versagte. Sie kannte den Weg. Man hatte ihn ihr genau beschrieben. Geahnt hatten sie jedoch nicht, wie schnell sie ihn tatsächlich nutzen musste.
Der Mond verlieh ihrem hellen Haar einen gerade zu betörenden Glanz. Sie hielt kurz um die herausgerutschten Haarsträhnen unter die schwarze Wollhaube zu stecken. Keinesfalls durfte auch nur irgendjemand ahnen, wer sie war. Obwohl ihre Füße ersteift waren, versuchte sie, so schnell es nur ging das große Gebäude zu erreichen. Man hatte ihr geraten den Hintereingang zu benützen, es war sicherer. Die Tür war alt und rostig. Sie drehte sich nochmals kurz um, bevor sie klopfte.
Es dauerte kaum zwei Minuten, dass ihr geöffnet wurde. Die Krankenschwester trug eine sehr traditionelle weiße Uniform, ihr Haar war schon leicht ergraut. Sie musterte ihr gegenüber mitleidig. Keine Spur von Vorwürfen. „Kommen Sie doch herein!“ Forderte die Krankenschwester sie lächelnd auf. „Wollen Sie einen Tee?“
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