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Mein Schirm
von Silvia Ittensohn >>
Bescheiden, mit zusammengeklappten Schultern, lehne ich mich an eine der rundlichen Wände meines Zuhauses aus weisser Röhre mit kreisrunden Löchern. Aus runden Fensterluken blitzt mein auffallendes Plisseekleid. Es kontrastiert mit dem Halbdunkel von Korridor und offener Küche. Dass die Falten meines orangen Kleids fluoreszieren, ist hier vergeblich. Wer auch immer hereinspaziert: er oder sie visiert, an mir vorbei, direkt das helle Wohnzimmer.
Klopft dann endlich Regen oder Schnee an die Haustür, richte ich mein Drahtskelett aufrecht, bereit für das Abenteuer Spaziergang. Als Zusatzgabe winkt mir die Ehre, in den wolkenverhangenen Himmel emporgehoben zu werden. Welch erhabenes Gefühl! Statt einem „Danke“ gibt es von mir dann jeweils ein kräftiges Plopp.
Bald, in der meist längeren Trockenzeit, kehrt wieder Ernüchterung ein. Dann bin ich wieder nur ein geduldeter, sich bitte unauffällig zu benehmender Gast. Geformt hat mich diese Art von Ruhe- und Aufbruchdasein jahrzehntelang. In all diesen Jahren musste ich auch den Verlust meiner Knirpsbrüder und -schwestern verschmerzen. Im Angedenken klappe ich bescheiden-dankbar meine bunten Schultern zu und füge mich nach erquickendem Ausflug wieder in das schmale Tunnelhaus ein. Mein gefalteter Rock hilft mir zudem, mich schneller abtropfen und trocknen
zu lassen. So warte ich wieder.
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