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Lebt jemand, der ein Dach über dem Kopf hat, ein Bett, einen Kühlschrank hat – ob gefüllt oder nicht und sei es von der Lebensmittelverteilung des Tischlein-deck-dich?
Zu was anderem: ein Rentner in verblichenen Kleidern kauft im Denner billigstes Toastbrot, zehn Cervelats zum Halbpreis, das Ganze kostet etwa 5 Franken. Draussen wartet an den Einkaufswägeli angebunden sein rothaariger, tiefergelegter Dackel. Ebenfalls draussen steht eine Frau in zusammengewürfelten Klamotten wohl vom Wühltisch, steht da mit fettigen Haaren, unterlaufenen, geschwollenen Augen, rot-bläulicher Nase und sie erinnert mich auf eine Art und Weise an den «dummen August», irgendwie am unteren Ende der Hierarchie. Sie ärgert sich darob, dass sie keinen Einkaufswagen nehmen kann und flucht wie ein Rohrspatz. Als der alte Mann seinen Dackel losbindet, bellt nicht der Hund sondern die Frau, und sie entlädt ihren ganzen Ärger über dem armen Mann wie ein Frühlingsgewitter. Vielleicht befürchtet sie vom Hund gebissen zu werden, weil er sie an einen Hund auf einer Schnapsflasche erinnert, wer weiss. Eine Situation, in ihrer fast unerzählbaren Absurdität, ja Situationskomik ist eigentlich Literatur genug. Mir fällt dazu nichts ein.
Ein Warten auf Inspiration vor dem weissen Blatt. Vielleicht ist das Lieblingsgefühl auch nur ein Harren der Inspiration, einen Zusammenhang zu finden. Schreiben hat mit Warten zu tun, würde Bichsel sagen und Walser: Schreiben hat mit spazieren zu tun. Ein Warten auf die Erzählperspektive des Einkaufswagens vielleicht oder diejenige vom Dackel. Die Skulptur Hirschhorns erweitert sich bis auf den Dackel, der lieber schläft und schnarcht, frei nach dem Zitat von Robert Walser. (c) Marc P Sahli
20. Juli 2019 |
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