Kurzgeschichten > Menschen |
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wenn man seine Toleranz in Frage stellte. Witzig, wenn der tolerant war, war ich die Queen von England. Mindestens. So sinnierte ich vor mich hin, aber als dann plötzlich Mama vor mir stand war Schluss mit der Philosophie. „Delia, wo warst du denn schon wieder? Haste dich auf der Strasse rumgetrieben?“ Ihre Stimme war vom Alkohol belegt. Ich hasste das. „Ich war in der Schule! Wo ist Chiara?“, knurrte ich und pfefferte meine Schuhe in die Ecke. Mama kicherte nur nicht wirklich nüchtern und ich klopfte leise an Chiaras Zimmertür. „Chiara?“, flüsterte ich in den dunklen Raum und tastete nach dem Lichtschalter. Chiara hockte schniefend auf ihrem Rollstuhl und hielt ein Foto in den Händen. Es war von unserem letzten Urlaub vor mehr als zehn Jahren. Papa war auch dabei gewesen. „Ich will, dass er zurückkommt! Dann wäre jetzt alles besser. Mama würde nicht mehr trinken und du, du könntest endlich Literatur studieren gehen und müsstest nicht in irgendeinem Supermarkt als Regalauffüllerin versauern!“, meinte meine kleine Schwester mit trotziger Stimme. Warum sie so klang, wusste ich nicht. Ich hatte nie verstanden, wie sehr sich Chiara nach jemandem sehnen konnte, der seine angeblich wichtigsten Menschen in seinem Leben einfach allein gelassen hatte. Dabei war Chiara nicht einmal so klein, sie war doch auch nur ein Jahr jünger als ich. „Ach, Süsse“, nuschelte ich nur und fuhr ihr durch die kurzen braunen Haare. „Wenn er uns nicht mehr will, dann ist er kein Vater. Dann ist er nicht mal mehr eine Kanalratte!“ Chiara kicherte in ihre Hand. „Deine Schimpfwörter waren auch mal besser.“ Ich zuckte nur grinsend die Schultern. Chiara wandte sich wieder dem Fenster zu und starrte |
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