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Herr Rusterholz
von Jürg Bolliger >>
Herr Rusterholz mochte keine Zwiebeln. Er hatte sie noch nie gemocht. Auch damals, als er noch ein Kind war, nicht. Seine Mutter hatte die Verordnung erlassen, alles, was auf den Tisch kam, sei zu essen. Und Zwiebeln waren nicht selten auf dem Esstisch der Familie Rusterholz. Meistens klein gehackt und vermischt mit den restlichen Speisen. Mutter versuchte so, ihm Zwiebeln unterzujubeln. Er hatte es immer bemerkt. Er musste sie immer essen. Widerstand war zwecklos. Mutter verfügte über die absolute Souveränität in der Familie. Vater machte keine Anstalten, ihr dies streitig zu machen.
Seit der Kindheit waren etliche Jahre vergangen. Herr Rusterholz durfte nun selbst über sein Leben bestimmen. Auch darüber, was auf seinen Teller kam und darüber wieviel er davon zu essen hatte. Noch nie hatte eine Zwiebel den Weg in seine Dreizimmerwohnung gefunden. Ein zwiebelfreies Leben, das war für Herrn Rusterholz gleichbedeutend mit einem glücklichen Leben.
Schon dreiundzwanzig Jahre arbeitete er beim Bundesamt für Statistik. Die Arbeit begeisterte ihn nicht sonderlich. Seit dreiundzwanzig Jahren half er mit, Statistiken zu erstellen, deren Nutzen er nicht kannte. Doch er verdiente damit das Geld, mit dem er sein Leben finanzierte. Ausserdem hatte er keine Idee, was er sonst arbeiten könnte. Deshalb würde er wohl bis zu seiner Pensionierung mithelfen, Statistiken zu erstellen, deren Nutzen er nicht kannte.
Am Mittag ging er nie mit seinen Kollegen essen. Er brachte sein Essen selbst mit, wärmte es in der Mikrowelle, die das Bundesamt im Pausenraum zur Verfügung stellte, und ass das selbstgekochte Essen alleine. Im Sommer, bei schönem Wetter, draussen auf einer Parkbank. |
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