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Die Probleme der alten Frau
von Rafael Werner >>
Ein Vogel, ganz weit obenauf der Lärche, begann zu zwitschern. Ganz leise. Etwas später kam ein zweiter dazu und pfiff. Ganz leise. Dann flogen beide im Eiltempo davon, ein Schuss hatte sich nervös gemacht. Und da war noch einer. Immer wieder Schüsse. Die alte Frau schloss das Fenster und lief zur Nachbarstür, klopfte zweimal energisch und fragte die Nachbarin, ob sie das eben auch gehört habe. „Nein, wovon sprechen sie“ antwortete die Nachbarin. „Aber ich kann mal meinen Mann fragen, vielleicht hat der was gehört!“. Nach einer Weile erschien ein kleiner, dicker, nicht gerade freundlicher Mann unter dem Türrahmen. „Nein, wir haben nichts gehört, belästigen sie uns bitte nicht mit ihren Hirngespinsten“. Die alte Frau lief behagt wieder zurück zu ihrer Wohnung. Sie wusste nicht mehr so recht was sie denken sollte. War sie nun verrückt geworden. Diese Schüsse konnte man nicht überhören. Oder hatte sie etwa den Fernseher angelassen. Sie entschloss sich, noch einmal das Fenster zu öffnen, vielleicht sind die Geräusche ja immer noch da. Draussen war es jetzt ganz still geworden. Kein Mensch, kein Tier, kein Rauschen des Windes zu hören. Nichts. Von der alten Frau ihrem Fenster aus sah man den zum Wohnblock angehörigen Spielplatz, vier grosse Nadelbäume, davon zwei Lärchen und zwei Tannen, einen kleinen Teil der Strasse und eine grosse Wiese. Die alte Frau wohnte im zweiten Stock und trotzdem beschränkte sich ihr Weitblick auf die vor dem Haus befindende Wiese.
Es war kurz vor Elf. Sonntag. Oktober. Wie fast jeden Sonntag, machte die alte Frau auch heute ihren Spaziergang. Sie lief meistens nur ins Dorf und wieder zurück. Für das brauchte sie etwa eine Stunde. Während dieser |
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