Kurzgeschichten > Menschen |
|
|
Die Fabergé Holzschatulle
von Marc P Sahli >>
Mein Name ist Liridona. Shpetim zeigt mir sein Zuhause in Pristina, eine Zweizimmerwohnung im grauen Block mit zerschlagenen Fensterscheiben im Treppenhaus. Das Grau des Gebäu-des setzt sich in die Wohnung fort, ja, ins Herz des jungen Mannes. Er lebt seit seiner Geburt in dieser Wohnung, wo ihm 1999 der Krieg die Eltern nahm, als eine Granate in die Küche einschlug. Das Liebste ist ihm die von seiner Grossmutter handbemalte Holzschatulle, in der er Fotos von ihr und seinen Eltern aufbewahrt. Er zeigt mir die Kassette so sorgfältig in sei-ner Hand präsentiert, wie wenn es ein golddiamantenes Fabergé-Ei wäre. Er habe die Malerei etwas geputzt und aufgefrischt, sagt er stolz. Ich bemerke, wie ein Lächeln über sein Gesicht huscht. Auch seine Grossmutter sei vor zehn Jahren gestorben, wohl vor Gram. Wenige Sa-chen noch zeugen von der Existenz seiner Familie. Die Militärpolizei ist seinerzeit oft gekommen, haben nach seinen älteren Brüdern suchend in Serbisch herumgebrüllt, die Eltern und Grossmutter bedroht, Schränke aufgerissen, Sachen herumgeschmissen und Geschirr zerschlagen. Erinnerungen fallen ihm wie auch mir schwer, die wir dazumal doch sehr jung waren. Manche Leute verschwanden einfach damals. Man lebte mit dem Pfeifen in der Luft, dem Sirenengeheul, Explosionsknall. Shpetims Eltern verhängten die Fenster mit Decken vor den Heckenschützen, was nichts nützte. Shpetim sagt, die Schachtel farblich aufzufrischen und zu putzen, sei wie Erinnerungen aufzufrischen gewesen, Erinnerungen an seine Eltern, die Grossmama, an bessere Zeiten. Seit Oma tot ist, lebt er nun allein in der Wohnung. |
|
|
Seite
von 3 |
|
|
Kommentare (0) |
|