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ABSCHIED
von Vismara Rudolf >>
Sie wohnte in unserem Haus und ich kannte sie als die Frau mit
dem dick umwickelten linken Arm, mit dem etwas nicht in Ordnung war. Auch die Augen sind nicht mehr das, was sie einst waren, sagte sie mir einige Male und sah dabei starr geradeaus. Aber was solls, sonst geht es mir gut. Ich bin schon
über neunzig, fühle mich zwar manchmal etwas einsam, aber
ich habe meine zwei Vögelchen. Und ich wusste nicht, war das
jetzt eine Träne, das in einem ihrer Augen blinkte, die starr geradeaus schauten.
Dann musste sie ins Spital und wir besuchten sie. Einmal oder auch zweimal. und ich hoffte, sie würde wieder gesund.
Doch jetzt ist sie gestorben. und ich kann es noch gar nicht fassen. wie schnell ein Leben erlischt. Und irgendwann bist auch du an der Reihe. Wenn du denkst, es geht den Jahr-
gängen nach,dann irrst du dich, niemand weiss, wer der Nächste ist.
Der noch junge Pfarrer spricht über ein sehr langes Leben,
das er nur vom Hörensagen kennt, und es schmilzt auf einige
wenige Ereignisse zusammen, die erwähnenswert erscheinen.
Ist das wirklich alles, denke ich, was von über neunzig Jahren
geblieben ist ?
Ein Verwandter der alten Dame mit den schlechten Augen und
dem dick umwickelten linken Arm, die so hilflos im Treppen-haus stehen konnte, aber mich sogar beim Namen nannte, ob-wohl ich meinte, sie habe mich gar nicht wahrgenommen,
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