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Jeder ein König
von Marc P Sahli >>
Ich beiße in ein Stück Dreikönigskuchen, schaue zum Fenster der Parterrewohnung hinaus und sehe Nachbarskatzen, die draußen im nassen Rasen täsele und es sich zu ihrer Aufgabe gemacht haben, ob aus Langeweile oder aus Naturinstinkt weiß ich nicht, alles anzuseichen. Selbstbewusst markieren sie ihr Revier und kümmern sich einen Deut darum, wo ihr Garten aufhört und derjenige des Nachbarn anfängt. Katzen haben eigene Grenzen, vielleicht gibt ihnen das sowas wie Sicherheit. Auch bei Menschen ist das so. „Man trifft sich nicht mehr in der Käserei, nicht mehr Samstags beim Dorffriseur, nicht mehr in der verrauchten Beiz, sie ist jetzt – wenn es sie überhaupt noch gibt – ein gepflegtes Restaurant für auswärtige, zahlungs-kräftige Gäste. Man trifft sich nicht mehr auf dem Dorfplatz. Was einmal Öffentlichkeit hieß, verkommt zur Grill- und Partygesellschaft – man bleibt unter sich und trifft ein Leben lang dieselben Leute. Man lebt nicht mehr unter allen, sondern nur noch unter sich. Das ist der Trend, und nicht nur ein schweizerischer, und diesen Trend hat niemand gewollt, der geschieht schleichend und ohne dass wir es bemerken. Und das ist halt so. Ich fürchte nur, dass letztlich Demokratie ohne Öffentlichkeit nicht funktionieren kann, ohne das Gefühl des Zusammenlebens, des Dazugehörens zu allen.“ (Peter Bichsel).
Eine Kernzelle der Demokratie, wie ich den Stammtisch mal nannte, löst sich auf und wird durch den virtuellen, elektrischen Stammtisch, Facebook, ersetzt. Längst wird im Restaurant bei Tische geschwiegen, nicht wegen christlich strenger Erziehung, sondern weil alle in ihr gescheites Telephon starren. Allesamt in seinem selbstabgesteckten, überschaubaren, sau-beren und sterilen Gärtchen. Robert Menasse formulierte ganz spitz:
„Wir erleben |
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