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Kurzgeschichten > Gesellschaftskritisches

Isch da no frei?

von Marc P Sahli >>

Diesen Satz konnte ich nie verstehen und hören mochte ich ihn auch nie.
Natürlich ist hier frei, denn wir sind bloss in einem Vorortszug, die Fahrt von kurzer Dauer und zweitens möchte ich lieber wahrgenommen werden: Grüessech / guete Morge…etc. Für ganz gewagte: göht dihr o ga schaffe? / Gället, e chly Räge wär nid schlächt.

Was ich aber kürzlich immer mehr feststelle: Haltestelle, Zug hält.
Ein paar Sekunden später: wumm, pflätsch. Plötzlich sitzt etwas einem gegenüber, schaut ins Leere, natürlich mit Kopfhörern in oder auf den Ohren. Man wird ignoriert. Nicht mal das obligate ‘isch da no frei’ ertönt. Mir ist aufgefallen, dass gerade die jungen Frauen sich ähneln: mit leerem, abwesendem Blick schauen sie in die Ferne, machen das gleiche Müli (Mund) und Näsli (Näschen) und die Kleidung: alles gleich und ähnlich.
Die Umwelt wird ausgeschaltet, Smartphone und Kopfhörer dienen der Vereinzelung. Lukas Bärfuss sagt, dass Kopfhörer eigentlich Kriegsgerät seien (wurden für den Krieg erfunden) und somit die Träger eigentlich Soldaten seien, im Grunde gefährlich. Die Isolation mache uns zu Soldaten. In der Tat, eine Entfremdung findet statt und die Aufmerksamkeitsspanne sinkt unter die eines Goldfisches (Studie 2013!).

Die Kopfhörerträger wollen ihre Ruhe. Die Umwelt wird ausgeschaltet und somit auch die soziale Umwelt wird nicht mehr wahrgenommen, dafür alles durch die Handylinse. Und es werden auf Reisen Selfies gepostet, vom Eiffelturm, vom Kölner Dom. Alles existiert nur, weil es durch die Linse wahrgenommen wurde, gelebt, erlebt, geschaut wurde es nicht. Das ist vorbei, den Moment zu leben.
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