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Ernsthaft arbeiten
von Marc P Sahli >>
Mit grossem Ernst werden in Moskau jedes Frühjahr, sobald der letzte Schnee weggeschmolzen ist, die metallenen Zäunchen, die das Trottoir vom Grünstreifen mit Bäumen trennen, gestrichen. Hordenweise fallen ausländische Arbeiter, die meisten wohl aus Zentralasien, mit Farbkübeln, gefüllt mit stark und übel riechender Farbe, wie Heuschrecken über die zahllosen Zäune, verblichen von der Sonne, verrostet vom Wintersalz, her und streichen sie mit Eifer an. Über den Dreck, abgelaugt oder geschliffen werden die Zäunchen vorher nicht, nicht mal vom Dreck befreit werden sie. Da wird mit grossem Ernst und eifrig über die Erdknolle, die noch klebt, gestrichen. Dasselbe Verfahren gilt für Eingangstüren und sonstiges, das angestrichen werden kann. Man könnte wohl Geschichte in den Farbschichten entdecken, wie bei Eisbohrungen in der Arktis. Dutzende, ja vielleicht hunderte von Schichten. War das graue Jahr in der Schicht Nummer 3 wohl ein gutes Jahr? Kann man das messen, woran?
Mit genauso grossem Ernst arbeiten die Garderobiers und Garderobieren in Restaurants und Theatern. Wenn man ein Etablissement betritt muss man den Mantel oder die Jacke abgeben, erhält dafür im Gegenzug eine Nummer, die man wohlbehüten muss. Wenn man sich nicht richtig verhält, wird man von der Garderobenfrau, Sowjetrochel mit kugelsicherer Frisur und Scheichen wie Papierkörbe, zurechtgewiesen, Widerspruch unmöglich!
Mit ebenso grossem Ernst wie mit versteinerter Miene arbeiten Empfangsdamen, sei es in Schönheitsalons oder in Hochhäusern bei Liften. Schindler könnte man da sagen, nicht die Firma, aber ebenso geliftet, Lifte. Manche der jugen Empfangsdamen stellen ihre Schlauchbootlippen zur Schau und versuchen ernst zu gucken.
Es gibt auch ernsthafte Elektriker und Sanitärinstallateure, |
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