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Kurzgeschichten > Gesellschaftskritisches

Die Mauer

von René Oberholzer >>

Ein Mann baute sich ein Haus und zäunte es ein. Dann legte er Stacheldraht um den Zaun, und um den Stacheldraht begann er eine Mauer zu bauen. Haus und Mauer wurden dorfbekannt. Täglich kamen viele Leute und versuchten, über die Mauer zu schauen. Der Mann kaufte den umliegenden Boden und fällte alle Bäume.

Im Haus begann er, Bilder mit Bäumen zu malen. Und auf der Innenseite der Mauer, die er zu einem schattigen Turm ausgebaut hatte, zeichnete er Pflanzen und Sonnen. Immer mehr Schaulustige wurden von seiner Mauer angezogen. Im Dorf gab es bereits Postkarten, nur von ihm gab es kein einziges Bild. Niemand kannte den berühmten Mann, und man konnte nicht sicher sein, ob er überhaupt noch lebte.

Eines Tages wurde ausserhalb der Mauer ein neues Haus gebaut. Darin lebte ein unbekannter Mann. Täglich beobachtete er die Schaulustigen an der Mauer gegenüber.

Das Dorf wurde bald so berühmt, dass man den Betonturm unter Heimatschutz stellte und an der Mauer ein Täfelchen anbringen liess: "Zu Ehren unseres Bürgers Albert Protz."


© René Oberholzer

11. November 2012
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