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Kurzgeschichten > Familie

Jamaica

von René Oberholzer >>

Meine Grossmutter ging immer ins Zimmer ganz hinten links. An der Tür hing das Schildchen "Jamaica". Meine Grossmutter sagte nicht, was in dem Zimmer war. Wenn sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, drehte sie den Schlüssel. Nicht einmal mein Grossvater wusste, was sie in "Jamaica" tat. Manchmal war meine Grossmutter für Stunden weg, dann kehrte sie aus "Jamaica" zurück und erzählte uns, dass sie John F. Kennedy und Fidel Castro getroffen hätte. Mir sagten diese Namen nichts, aber so wie die Grossmutter über sie redete, mussten es bedeutende Männer sein. Mein Grossvater sass im Schaukelstuhl vor dem grossen Haus und rauchte seine Pfeife. Wenn ich ihn fragte, wie es denn in "Jamaica" sei, sagte er: "Ich weiss es nicht, frag lieber deine Grossmutter." Und als ich sie fragte, sagte sie: "Darüber darf ich nicht sprechen." Dann ging ich zu meinem Grossvater und erzählte ihm, was die Grossmutter zu mir gesagt hatte. Der Grossvater schwieg und schaute in den Obstgarten.

Meine Grossmutter blieb mit zunehmendem Alter immer länger in "Jamaica". Den Grossvater machte das traurig. Manchmal nahm die Grossmutter viele Esswaren und Getränke unter den Arm und verschwand für Wochen nach "Jamaica". Und als sie zurückkehrte, sagte sie nur: "Ich bin wieder zurück, ich muss meine Kleider waschen, ich freue mich, euch wieder zu sehen." Einen Tag später verabschiedete sie sich wieder von uns, und wir wussten, dass wir sie lange nicht mehr sehen würden. "Aber wenn sie auf einmal stirbt", sagte ich zu meinem Grossvater, "dann wissen wir das ja nicht." "Das will deine
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