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Wo Giraffen über Teekessel und Sternschnuppen galoppieren
von Silvia Ittensohn >>
Fräulein Giraffa neigt ihren Kopf zum mehr als ein Meter größeren Bullen vor ihr. Soeben hat er seinen Konkurrenten sehr unsanft aus dem Bewerbungsrennen geschlagen. Vehement hat er den Kopf an dessen langen Hals so lange geschlagen, bis dieser kurz vor dem Knockout in die Büsche entfloh. Derlei Werben ist für Mademoiselle nicht ungewohnt. Nicht selten bleibt nach solcher Buhlerei der Unterlegene bewusstlos am Boden liegen. Nicht fein, aber es muss sein. Es geht nun mal um die Wahl des kräftigsten Erzeugers einer Nachkommenschaft. Giraffa zögert dennoch, auf das Imponiergehabe dieses Bullen einzugehen. Einiges steht für sie auf dem Spiel. Am Ende liegt es an ihr, vierzehn bis fünfzehn Monate lang geduldig das Resultat dieses Werbens, ein Kalb, in ihrem Leib zu tragen. Außerdem müsste sie dieses Einzelkind weitere ein bis eineinhalb Jahre betreuen. Eine ganz schöne Verantwortung! Keine versunkenen Träume mehr unter kugeligen, goldgelben Akazienblüten. Keine Nüstern mehr, die trunken sind von deren lieblichem Duft, die im späten Jahr entströmen. Kein entspanntes Kauen, Wiederkäuen und Zermalmen der halbmondförmigen, graugrünen und samtigen Schoten zur Frühjahrszeit. Sehnsüchtig reckt Fräulein Giraffa ihren langen Hals in den Himmel. Als ob dort nicht nur köstliche Äste und Blätter lockten, sondern auch Sternschnuppen, die ihr mit einem „Na komm schon“ oder „Bitte nicht“ zuflimmerten. Als kleines Himmelssignal. Denen da oben mag solches Flackern jedoch solange schnuppe sein, bis der Tag sich dem Ende neigt. Auf das grünliche Leuchten eines Meteoritenschweifs müsste sich Mademoiselle Giraffe gar bis Mitte Jahr gedulden.
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