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Kurzgeschichten > Alltag

Stufen (Was wäre, wenn wir unsterblich wären)

von Weiss, Diana >>

Stufen. Stufen in den Keller zur Vorratskammer. Stufen zurück. Stufen nach oben. Und auch nur um die Heizung anzuwerfen. Stufen. Marianne hatte schon damals zu Wilhelm gesagt: „Vergiss nicht, wir wollen in diesem Haus alt werden.“ Und sterben, das hat sie gedacht, aber nicht laut. Wilhelm war siebzehn Jahre älter als Marianne. Das Zoologiegeschäft des Vaters hatte er erfolgreich noch in den vierziger Jahren übernommen. Nachdem er aus Russland, aus dem Lager, nach Deutschland zurückgekehrt war, nachdem er seine erste Frau aufgegeben und in einem Besucherraum schweigend zurückgelassen hatte, nachdem er diese Person vergessen wollend, Marianne auf einem Spaziergang durch Krakau als Funker an einem Montagmorgen das erste Mal gesehen hatte und ihr den Brief nach genau zehn Tagen endlich auf der Post, mit der Schreibmaschine getippt und mit "Marianne Kretschmer" angeschrieben, mit einem dunklen tief eingeschlagenem blauen Punkt über dem i, abgegeben hatte. Nach ihrer schriftlichen Antwort, hinterlassen am selben Ort, von Hand geschrieben „Für Herrn Wilhelm Dentz“, und ihrer ausdrücklichen Einverständnis-erklärung, haben sie sich gesehen, gleich neben dem Haus von Mariannes Ziehmutter und noch in der ersten gemeinsamen Stunde sich gegenseitig eine Haarsträhne, die eine blond, die andere aschblond, aus der Stirn gestrichen.
Wenige Monate später sind sie nicht miteinander, sondern getrennt, im schwäbischen Ludwigsburg aus dem Zug gestiegen. Er als Kriegsheimkehrer, unversehrt, in Trennung lebend mit einer Verbrecherin; sie als Vertriebene aus dem deutschen, nun polnischen Oels.
Vierzehn Jahre sind es schon. Allein in diesem Haus, in Bönnigheim, mit all den Stufen. Sie hatten sich damals bewusst für dieses Haus entschieden, zwei Wohnungen auf zwei Etagen.
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