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Die Spätgeborene - Teil 1
von Mario Petitto >>
Ich hatte einst in Sizilien, der Heimat meiner Eltern, eine Cousine, die alles hatte, was ein Mensch begehren konnte: Sie war jung, gesund, erfolgreich und hatte, was für dortige Verhältnisse nicht alltäglich war, eine Arbeit. Zusätzlich war sie von guten Freunden umgeben, hatte fürsorgliche und weltoffene Eltern und einen Verlobten, wie er nur im Bilderbuch zu finden ist. Alle, die sie kannten, liebten und schätzten sie und für alle hatte sie ein gutes Wort und ein aufrichtiges Lächeln parat – dies obwohl ihr Herz von großem Kummer getrübt war! Nur wenige wussten, dass sie von einem schweren Schicksalsschlag gezeichnet war, welche sie seit ihrer Geburt verfolgte. Ihrer Mutter hatte sie sogar offenbart, mehrmals daran gedacht zu haben, ihrem Leben und somit ihrem Leid ein Ende zu setzen. Ihre Lage schien aussichtslos: Sie war eine Spätgeborene!
Meine Cousine war nicht die einzige, die unter ihrer späten Geburt litt. Viele Frauen wären gerne fünfzig Jahre früher geboren, um mit Carry Grant ausgehen zu können. Viele Computerfreaks wünschten sich, zwanzig Jahre früher zur Welt gekommen zu sein, um mit der Entwicklung eines funktionierenden Betriebssystems an Ruhm und Reichtum von Bill Gates heranzukommen. Meine Cousine hingegen hätte sich damit begnügt, einen Monat früher das Licht der Welt erblickt zu haben.
Meine Cousine war nämlich praktizierende Horoskopleserin. Sie war sich der Komplexität des Lebens und der gegenseitigen Beeinflussung aller Geschehnisse bewusst. Gemäß ihrer Vorstellung würden wir uns alle in einem riesigen, unsichtbaren Räderwerk befinden, in dem Erfolg und Misserfolg letztlich darauf beruhten, sich an der richtigen Stelle zum richtigen Zeitpunkt zu befinden. Und an einem |
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