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Kurzgeschichten > Alltag

Ballerina und Sandalen

von Cornelia Studer >>

Ich traf sie damals auf dem Campingplatz, und zwar alle Jahre wieder, in jenem Jahr mussten wir beide etwa acht gewesen sein. Meistens war ich gerne bei ihr, obwohl sie nicht grad ein lustiges Kind war, aber sie war irgendwie anders als der Rest, und das machte sie interessant.
Sie hatte Sandalen mit ganz vielen winzig dünne Riemchen, die über und über mit Perlen überhäuft waren, die alle samt wie Zuckerbonbons aussahen. Was auf absonderliche Weise zu ihren Nougat farbenen Sohlen passte. Ich mochte nicht wenn sie fragte «Sind sie nicht süss?»
Es löste in mir eine hässliche Phantasie aus, ich stellte mir vor wie sie plötzlich ihr Bein vorwärts anhob, es war kein Problem für sie ihre Beine über ihren Kopf zu strecken, sie war mit ihrem zweiggleichen Körperbau schon immer gelenkig Gewesen, aber der ganze Sportzwang, hatte sie diesbezüglich geradezu übermenschlich gemacht. Aber in dieser Phantasie hob sie nicht ein Bein um damit elegant und künstlerisch zu sein, und sie streckte es auch nicht über Kopf, sie hob es lediglich auf Mund Höhe. Dann knabberte sie mit ihren spitzen Zähnen zunächst an den Perlen der Riemchen, dann frass sie mit gierigen Bissen den ganzen Schuh auf, und sagte: «Daheim wollen sie mir ja nichts geben, egal wie dünn ich bin, immer bin ich zu fett.»
Für gewöhnlich habe ich keine derart kranken Phantasien was andere Menschen betrifft, diese habe ich aber nach all den Jahrzehnten nicht vergessen, es mag sein dass es war weil ich vorher wie nachher niemals mehr einen Menschen gesehen habe, der dauernd so hungrig gewirkt hat, es war nicht nur entzogenes Essen, sie schien auch ganz vieles zu vermissen was anderen selbstverständlich war, was ist wohl aus ihr geworden?


4. September 2018
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