Kurzgeschichten > Alltag |
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Trotzdem zogen sich die einzelnen Sprechzeiten zäh wie schlecht abgehangenes Fleisch dahin.
Zwei zahnspangengeschmückte Teenager rissen mich aus meiner Lethargie: „Dürfen wir Ihnen einen Kuchen anbieten und eine Tasse Kaffee?“
Ich entschied mich für eine Schwarzwälderkirschtorte, die nicht nur lecker aussah, sondern auch so schmeckte. Meine Laune besserte sich schlagartig und nachdem auch das bald folgende Gespräch mit dem Deutschlehrer äußerst zufriedenstellend verlief, machte ich mich voller Zuversicht auf zu meiner zweiten Station.
Ein Stockwerk tiefer, vor Zimmer 103, war jedoch Schluss mit lustig. Hier residierte Frau Goldinger-Ratschkal, Herrscherin über Algorithmen und andere unverständliche Rechenverfahren. Da Mathematik seit jeher mehr Opferbereitschaft als Enthusiasmus hervorruft, erinnerte die Schlange der Wartenden an eine gierige Boa Constriktor, die es kaum erwarten kann, ihr Opfer mit Haut und Haaren zu verschlingen. Allerdings übernahm die Lehrerin die Rolle der Schlange und uns ging es wie dem Kaninchen. Ich war die Nummer 14 dieses Trauerwurms und beschloss deshalb, meine Studien über den Südwesten der USA im mitgebrachten Reiseführer zu vertiefen.
„Sie waren in den Staaten“, hörte ich plötzlich eine
sympathisch klingende Frauenstimme.
„Sie wollen auch zu ihr“, vermutete ich und hob den Daumen der rechten Hand in Richtung Klassenzimmer.
„Warten Sie, ich hole Ihnen einen Stuhl“, sagte ich zu meiner Nachrückerin mit der Nummer 15. Ich verschwand kurz in einem angrenzenden Zimmer, um gleich darauf mit einem Stuhl zurück zu kommen, der vermutlich mal in einer ersten oder zweiten Klasse gestanden hatte. Jedenfalls war er so niedrig, dass die Knie fast die Kinnspitzen berührten.
Ich nahm den Gesprächsfaden wieder auf, blätterte im Reisemagazin und |
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