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Annas Traum
von Jutta Miller-Waldner >>
Annas Traum
In ihrem Traum fährt Anna mit ihrem Auto geradeaus, immer gen Süden. Sie rast die Autobahn entlang, läßt das Fichtelgebirge links von ihr liegen, rechts Nürnberg, schimpft über den Verkehr auf dem Außenring in München, über den ewigen Stau auf der Autobahn Richtung Salzburg. Sie biegt ab auf die Inntalautobahn, und immer weiter geht es, immer weiter gen Süden. Sie fährt die Brennerautobahn entlang, zählt die Tunnel, quält sich durch die Dolomiten, rast durch die flimmerndheiße, langweilige Potiefebene. Doch sie setzt sich wieder aufrecht hin, und ihre Schultern entkrampfen sich, wenn sie die Hinweisschilder über der Autobahn entdeckt: Modena — Bologna — Firenze. Und sie drückt das Gaspedal noch mehr durch, hetzt quer durch den Appenin, eilt durch den allerletzten Tunnel — und da liegt es vor ihr: Florenz. Aber sie muß immer noch weiter, bis sie endlich die Chiantichiana erreicht, die alte Römerstraße durch das Chiantigebiet.
Sie träumt, wie sie die ersten Weinberge links und rechts der Straße begrüßt, die Bauernhäuser aus Naturstein mit den roten Ziegeldächern, und sie taucht ein in die blauen Hügel und fühlt sich plötzlich ganz leicht. Sie singt und lacht — alles im Traum.
Hinter der kleinen Bar in Panzano biegt Anna scharf ab in den zypressengesäumten Weg, flucht über die Schlaglöcher, begrüßt den Wiedehopf, der wie früher schon an dieser Stelle über den Weg hüpft, wirft dem Schaftshirten ein "Bon giorno" hinüber. Und dann sieht sie das Haus im Tal, und dann sieht sie ihn. Er steht neben den Feigenbaum an der Haustür, und die Luft ist voller Duft nach Lavendel, und sie schmeckt wie Champagner, und sein Gesicht leuchtet. Sie hält an, |
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